Ausweichquartier Tiergartenstraße

Die Baukran-Arrangements des Potsdamer Platzes der 1990er Jahre noch in lebhafter Erinnerung, ist eine Wiederauflage davon auf dem Kulturforum im Entstehen. Die Fassaden der Staatsbibliothek und die Nationalgalerie waren ihr Anfang, die M20-Baustelle läuft, weitere kündigen sich an: die Lesesäle und die Foyers der Staatsbibliothek sind schon im Verzug, die Philharmonie plant, das Musikinstrumentenmuseum bereitet sich vor… Naheliegend für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, ein Dauer-Ausweichquartier zu erschaffen, das diese und weitere ihrer Häuser für die Baudauer beziehen und dann dem nächsten überlassen. Dem Vorhaben widmete sich am 25.11.2024 die 105. Sitzung des Baukollegiums.

Von der einstigen Wüstenei um das Kulturforum blieb kaum noch eine Baulücke. Wiederum naheliegend, daß die Blicke sich bald auf den Standort der seinerzeit geplanten „Skulpturenabteilung“ richteten. Zuweilen stand auch schon ein „Architekturmuseum“ auf ihr eingezeichnet — Wechsel hat hier Tradition.

Volkwin Marg bemängelte zurecht die selbstbezogene Objektplanung jüngster Wettbewerbe, am Kulturforum und anderswo. Sein Büro ist anders — führt gekonnt den abgestuften Takt der westlich anschließenden Fassaden der Tiergartenstraße bis fast an die Philharmonie heran, sorgt für mehr und besseres Grün. „Adressenbildung“ war laut Stiftung ausdrücklich gefragt — warum nur das Stocken zur anderen Seite hin, zum Forum und der ersteinziehenden Staatsbibliothek? Kein Weg, keine Geste dringen durch die seinerzeit nur provisorisch hochgezogene Brandwand des gemeinsamen Museumsvestibüls.

Gewiß, eine Neuordnung der schiefen Piazzetta bis hin zur „Erdung“ (=Totalabriß) geistert schon lange herum. Jetzt ist sie nicht mehr vordringlich, wie die sichtlich verlegen wirkende Stiftungsvertreterin in der Kollegiumssitzung auch zugab. Sie bleibt, die Studie ist dieser Tatsache auch wohl bewußt: die unter der Piazzetta liegenden Behindertenparkplätze und Fahrrad-Stellplätze rechnet sie zu ihren Gunsten auf — übersieht aber auf dieselben gerichteten Türen des gemeinsamen Foyers der Gemäldegalerie, der Wechselausstellungshallen, des Kupferstichkabinetts nur wenige Meter weiter?!

Man kann dem Kollegium nur beipflichten, dieses Nichtsehen ist sonderbar. Zumal die anderen Seiten des doch nicht so großen Baues von Eingängen nur so übersät sind: es gibt ihrer 4, inklusive einer „Arkade“ exklusiv für das Ibero-Amerikanische Institut und einer „Passage“ unter dem Hausmassiv. Sie ist weniger dem Durchqueren als dem internen Austausch gedacht.

Des Gremiums Empfehlung: nur den Osteingang an der Platane belassen, für Verbindung zur Piazzetta sorgen.
Warum so bescheiden? — Laßt die Platane ruhen und auch das Rondell. Ein Hocheingang, eine sinngebende Erweiterung der oberen Piazzetta-Kante aufs Dach des Neubaues wären eine weit mehr versprechende Lösung (ganz abgesehen von den Einsparungen aus gemeinsamer Nutzung des Vestibüls, der Garderobe, des Cafés)! Ein Eingang, ein Dachgarten, eine Belvedere…

Die Fassade will „generisch“ und „nutzungsoffen“ sein — verständlich, angesichts des auf Jahre angedachten Nutzerwechsels. Unverständlich dagegen wie sie der eigenen Volumenstudie widerspricht, weder auf Gutbrod, noch Hilmer&Sattler oder Hollein Bezug nimmt. Stattdessen nur ein berlinödes Büroraster, „nur als Platzhalter“, entschuldigte man sich wiederholt. Dabei hätte gerade ein Regalsystem hier ein ausgesprochenes Potential!

…Ein Institut zieht temporär ein. Wände werden umgestellt, Türe durchbrochen, Fenster die soeben noch einem Labor dienten, finden sich vor lichtscheuem Lagergut wieder — doch das Raster schreibt unerbittlich Pfeiler und Öffnung vor: Lasset sie sein! Wo störend oder wo gewollt, macht sie zu Projektionsflächen, zu Berichtern statt Belichtern der inneren Arbeiten, zu Schaufenstern im buchstäblichen Sinn! Zeigt euch, nehmt Spolien mit, auch von der Baustelle des jeweiligen Mutterhauses — Muster-Fassadenflächen etwa. Setzt sie als Erkennungsmarken ein im (hoffentlich kurzem) Exil, auf der Ebene und in der Höhe — versetzt sie bei Bedarf — und läßt sie beim Auszug stehen.
Ausgerechnet in der Sanierungsnot bekäme Berlin eine musische Schmuckschatulle, ein Spielkästchen sogar. Denn die obere Eingangsbelvedere hätte angesichts der zeitgleich zu erwartenden Schließung der Philharmonie — nicht zur Preußenstiftung gehörig — und des Musikinstrumentenmuseums — sehr wohl stiftungsgehörig — als eine Musik-Arkade am arkadischen Park gleich mehrfach Sinn.
Auch und gerade als Adresse.

Anhörung Ehrengräber

Am 7. Oktober 2024 fand nach mehrmaliger und inzwischen auch mehrjähriger Verzögerung der Auftritt unserer AG Ehrengräber vor dem Kulturausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses statt. Interessierte seien an die amtliche Aufzeichnung und Protokoll verwiesen, wir aber wiederholen hier unsere Problemstellung und die Lösungsvorschläge.

Berlin ehrt seine Verstorbenen. Das ist bekannt und normal. Derzeit sind es unter 700 Ehrengräber.
Berlin löscht seine Ehrengräber. Um 2000 waren es ihrer über 800. Dieses Vorgehen hat Seltenheitswert, von der Moral ganz zu schweigen.
Begründet wird dies mit Zweifeln am „fortlebenden Andenken in der allgemeinen Öffentlichkeit über den Zeitraum eines Jahrhunderts hinaus“ (AV Ehrengrabstätten, V 10.). An dieser Formel sind selbst Zweifel angebracht, auch weil sie die zentrale Funktion eines Ehrengrabes, Erinnerung an eine Person zu wecken, in ein Gegenteil verkehrt, eine Quittung der vorhandenen Erinnerung. Schwindet sie, nimmt man dies zur Kenntnis, statt Erinnerungsarbeit zu betreiben.

Auf der Liste der Gelöschten finden sich Wissenschaftler, Schauspieler, Politiker usw. Auffällig die Häufung der Heimat- und Fürsprecherlosen. Gelöscht ohne vorherige Ankündigung, ohne öffentliche Beratung, ohne… Unter den 200 Gelöschten sind auch mehrere, die nach allen bekannten Kriterien keinesfalls angegangen werden dürften. Was Fragen ob der Richtigkeit von allen Löschungen berechtigt erscheinen läßt.

Wir schlagen 3 Wege vor, wie man aus der momentanen Situation wieder herauskommt:

  • Es ist eine Ausführungsverornung Ehrengräber auszuarbeiten, die den Gräbern keine Ablauffristen setzt und keine „Quittierfuktion“. Der Prädikat darf den Gräbern nur auf begründeten Antrag wegen konkreter Verfehlungen entzogen werden. In diesem Fall werden sie als „historische Gräber“ weiter geführt, denn auch der Vorgang der gewesenen Ehrung ist geschichtlich von Bedeutung. Alle jemals gewesenen Ehrengräber sind auf diese Weise so oder so anzuerkennen — auch die zerstörten!
  • Es ist eine Ausführungsverornung Ehrengräber auszuarbeiten, die den Gräbern keine Ablauffristen setzt und keine „Quittierfuktion“. Alle jemals gewesenen Ehrengräber werden überprüft, ob nicht etwas gegen die Einzelnen vorliegt. Im Fall der Zweifel oder wenn ein Grab inzwischen verloren ging, wird ihnen die neuzuschaffende Kathegorie „historische Gräber“ zuerkannt. Sonst werden sie in den ursprünglichen Ehrzustand versetzt. Auch später können die Ehrengräber auf begründeten Antrag hin ihr Prädikat verlieren und zu „historischen Gräbern“ werden, wie zuvor.
  • Es ist eine neue Ausführungsverornung Ehrengräber auszuarbeiten, die zumindest auf die „Quittierfuktion“ der Ehrengräber verzichtet. Bei Ablauf der Ehrungsfrist oder bei zu beliebiger Zeit eingebrachten begründeten Antrag wird geprüft, ob eine neu aufgedeckte Ehrverletzung o.ä. vorliegt. Daraufhin wird ein Grab weiterhin als ein Ehrengrab oder als ein „historisches Grab“ weiter geführt. „Historische Gräber“ haben keine Ablauffrist.

 

Über Anträge und Streitfragen entscheidet in allen 3 Varianten eine für die Öffenlichkeit zugänglich tagende, nach erkennbaren Kriterien zusammengesetzte Kommission.

Die Sitzung fand im Bernhard-Letterhaus-Saal statt, mit seinem großen Portrait herabschauend von der Wand. Ein Zeichen, ein Omen? – wir sind seit längerem dabei, für das Haus am Letterhausweg zu kämpfen…

Ob die Ideen Gehör finden?

 

Baukultur: Hans Scharoun in Marl

— Was hat Hans Scharoun im Ruhrgebiet gebaut?
— Warum klingt die Aula des Geschwister-Scholl-Gymnasiums in Lünen so gut?

— Diesen und anderen Fragen widmet sich der Vortrag von Frau Professor Dr. Apfelbaum an der Insel-Volkshochschule Marl. Noch sind dafür die Plätze zu haben.

Die Lünener Geschwister-Scholl-Schule und die Marler Scharoun-Schule sind neben dem Fakultätgebäude in Berlin und dem Kindergarten in Wolfsburg die einzigen Bildungs- und Erziehungsbauten Scharouns. Unlängst vorbildlich saniert und von Entstellungen befreit, sind es unzweideutig herausragende Bauten der Epoche — die aber als Ganzes besehen werden sollte. Die Bauhistorikerin Dr. Apfelbaum (FH Dortmund), Gründerin und Vorstandsvorsitzende der Initiative ruhrmoderne e.V., setzt sich eben dieses Ziel: der Vortrag widmet sich dem Architekten, beleuchtet seinen Weg ins Ruhrgebiet und verortet seinen Schulbau im Kontext seines Gesamtwerkes und der zeitgenössischen Architektur.

Ort: Wiesenstraße 22, 45770 Marl; Raum P1, EG
Zeit: 18.04.2024, 18:30—20:00 Uhr
Eintritt: frei, Anmeldung erwünscht.

Baukollegium 100

Am 29. Januar 2024 tagte das Berliner Baukollegium, die 2000er-Nachfolgeinstitution des „Stadtforums“ der 1990er, feierlich zum 100. Male. Sein Thema: Kulturforum Berlin, „…In letzten Jahrzehnten kamen weitere bedeutende Bauwerke wie die Staatsbibliothek, die Neue Nationalgalerie, der Kammermusiksaal oder die Gemäldegalerie hinzu. Aktuell wird die spannende Entwicklung mit dem Bauvorhaben für das Museum der Moderne erfolgreich fortgeführt.“ Die Scharoun-Gesellschaft, lange Zeit ein Anrainer und ununterbrochen ein Kämpfer für den Forumsgedanken, war mit dabei.

Genaues Wortlaut der Beiträge findet sich in der Aufzeichnung (ab Minute 10:46); wir fassen nachfolgend zusammen, was aus unserer Sicht von besonderer Bedeutung schien und was aufgrund begrenzter Redezeit unausgesprochen blieb.

Gero Dimter, Vizepräsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, sprach von einer zu schaffenden Koordinierungsstelle, die die Anrainer zusammenbindet. Wäre sehr zu begrüßen.
Die sicherlich notwendigen Straßenbahnen fanden sich später bei Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt wieder („Endhaltestelle ist eine Haltestelle vor Hauptbahnhof in einer Potenz“) und im Kommentar von Harald Bodenschatz („So eine Haltestelle wie vor dem Hauptbahnhof im Norden würde diesen Raum auch etwas… verändern.“).
Cyrus Zahiri, Gestaltungsbeirat öffentliche Räume, sah mit dem Neubau des „berlin modern“ kein Kulturforum mehr, sondern nur noch Restkorridore; begrüßte den Haltungswechsel der Anrainer, die sich um ihr „Vorfeld“ zu kümmern beginnen. Auch wir begrüßen dies sehr; daß „Forum“ nur ein „Leerraum“ sein darf, weniger.
Claudia Zirra, Abteilungsleiterin Bau und Technik in der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, vertiefte das „Tiergarten hineinholen“— bis an die Ufer des Landwehrkanals! Dies erinnert sehr an die „Küchenstraßen“-Planung der Vor-IBA-Zeit. Außerdem wurden von ihr die Sanierungsprojekte der Stiftung vorgestellt, nebst „berlin modern“ die Staatsbibliothek (Vorlagenreife 2024), die Piazzetta (Platz und Innenraum zugleich) und das Musikinstrumentenmuseum.

Straßenbahntrasse nach aktueller Planung: zwei Seitenbahnsteige vor Potsdamer Brücke außerhalb des Bildes, Andreaskreuz in Höhe der der Sigismundstraße, keine Wendeschleifen vorgesehen.

Roger Boltshausers Schnappschüsse zeigten weswegen auch immer den Wirtschaftshof des Musikinstrumentenmuseums; das Thema des fehlenden Zuweges von „Sony“ her schien keinem Experten aufzufallen.
Maren Brakebusch sah den Philharmonie-Garten nur einmal im Jahr genutzt, „noch nicht von den Anrainern entdeckt“. Dabei dient ausgerechnet dieser gern genutzter Garten den anderen als Vorbild.
Jasper Cepl sah die Kulturlandschaft noch nicht endgültig ausformuliert und darum auch entwicklungsfähig; Kulturforum sollte städtebaulich anders behandelt werden als alle anderen Stadträume. Scharoun´sche Landschaftsidee des Kulturforums ist keine Formel und kein Korsett, sie soll wachsen und sich entfalten, „zwangsläufig und zwangsfrei“. „Bei Scharounplatz gehen bei mir die Alarmglocken an“, weil hier nicht in althergebrachten „Straße“-, „Platz“ oder „Achse“-Begriffen gedacht werden darf: hört, hört!
Anne Femmer lobte die kommende Durchwegung „ohne Eintrittskarte“, zeigte das ehemalige Zeitungs-Foyer der Staatsbibliothek und sah Vorzüge (Fernblick) auch bei der Piazzetta. Scharouns Foyers, hier wie auch beim „Haus der Mitte“, sind vom Tag eins als „Begegnungsräume“ und „Agora“ überschrieben; spät, hoffentlich nicht zu spät werden sie verstanden.
Für Birgit Rapp macht die „Schneise“ der Potsdamer Straße den Kulturforum „fragmentarisch“ und „fraglich“, sie schlägt „Campus“ als ein Gegenmodell vor. Die weitaus zerstörerischere Wirkung der um wenige Meter nach Westen verlegten, das Haus verzwergenden Herbert-von-Karajan-Straße dagegen nicht… und bestand ein Forum Romanum nicht etwa aus mindestens 5 separaten doch zusammenhängenden Foren? Auch Harald Bodenschatz will die Potsdamer Straße anders geformt sehen, bezieht ihre Krümmung auf das Nichtzustandekommen der Westtangente. Gegenteil war der Fall, wie wir es in unseren Ausstellungen zeigen.
Jörg Springer stellt die Veränderung des Raumverständisses der Anrainer-„Objekte“ fest, ihr „Ankommen in der Landschaft“. „Veränderung zum Ur-Konzept Scharouns hin“, müssen wir ergänzen. Eine „neue Idee“? — gewiß. Scharouns Idee eben.
Stefan Ulrich, Referent der Philharmonie-Intendantin Andrea Zietzschmann, kann schließlich dem Gedanken etwas abgewinnen, in der Achse des „berlin modern“ einen neuen Zugang zum Kammermusiksaal zu schaffen. Hoffentlich bleibt das Aufspießen ein Gedankenspiel; Zusammenkommen geht auch ohne solche Selbstaufopferung. Keines der Museen und auch keine Staatsbibliothek verlegen ihre Tore — warum soll die Philharmonie (wieder)? Zumal Museen zur Konzertzeit gerade schließen?

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Sounds of Stabi

Gerade rechtzeitig bevor uns die anstehende Generalsanierung für 10 lange Jahre den Lesesaal an der Potsdamer Straße raubt, präsentieren der „speaklow“-Hörverlag und die Medienwissenschaftlerin Dr. Hannah Wiemer die Ergebnisse eines Projekts zur „akustischen Vermessung“ der „charakteristischen Akustik“ des Scharoun-Baues: es soll „vor allem die Möglichkeit geschaffen werden, sich die Staatsbibliothek nach Hause zu holen – gerade während ihrer baubedingten Schließzeit“.

Was macht den Klang der Stabi aus? — geforscht wird darüber spätestens seit 2019. Nun kamen ganze 9,5 Stunden an Aufnahmen des Lesesaales, der Foyers, aber auch der Aufzüge und der Kastenförderanlage, die das Haus durchzieht; man darf gespannt sein.

Präsentation: Donnerstag, 11. Januar 2024, 18:00—19:30 Uhr
Dietrich-Bonhoeffer-Saal, Staatsbibliothek zu Berlin, Potsdamer Straße 33, 10785 Berlin
Anmeldung nicht erforderlich.