Entscheidung im Foyer-Wettbewerb Staatsbibliothek
Pressemitteilung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung (in Auszügen) und eine Stellungnahme der Scharoun-Gesellschaft (weiter unten).
…das Gebäude der Staatsbibliothek zu Berlin an der Potsdamer Straße (Kulturforum) [soll] denkmalgerecht umgestaltet werden, damit es den zeitgemäßen technischen und funktionalen Anforderungen besser entspricht und Teilbereiche neu organisiert werden können.
…Die – auch im Hinblick auf die Barrierefreiheit – zu entwickelnde Neugestaltung betrifft das Foyer mit seinen öffentlichen Nutzungen, die Positionierung der Cafeteria, den Bereich der Zugangskontrolle und die Planung eines weiteren Eingangs zum Marlene-Dietrich-Platz, die der heutigen städtebaulichen Situation Rechnung tragen wird. Die Maßnahmen erstrecken sich über eine Fläche von rund 11.000 Quadratmetern. Das ausgewählte Büro soll [darüber hinaus] mit der Gesamtplanung der Grundinstandsetzung [auf der] Gesamtnutzfläche von rund 67.000 Quadratmetern [beauftragt werden]… besondere Sensibilität im Umgang mit der Originalsubstanz und eine hohe Detailqualität erforderlich.
Die 14 Teilnehmer des nichtoffenen, einphasigen Wettbewerbs wurden in einem vorgeschalteten Bewerberverfahren … ausgewählt. Das Preisgericht [kürte] gmp Generalplanungsgesellschaft [zum Sieger]. Den zweiten Preis sprach die Jury dem Berliner Büro von David Chipperfield Architects zu. Anerkennungen erhielten die Berliner Grüntuch Ernst Planungsgesellschaft sowie heneghan peng architects, Berlin / Dublin … mit adb Ewerien und Obermann und SHS Architekten Stelzner Herbert Sütterle PartG mbB.
Das Gebäude wurde von 1967 bis 1978 nach Plänen von Hans Scharoun mit maßgeblicher Unterstützung von Edgar Wisniewski errichtet. Es gilt als herausragendes Beispiel der Architektur der Moderne und insbesondere der Bibliotheksarchitektur und steht als eingetragenes Denkmal unter Schutz.
Ikone oder Meilenstein
„Eine Ikone der Architektur und des Bibliothekswesens, ein Herzstück des Kulturforums“ – so oder ähnlich titelten die Blätter.
Zum Begriff
Eine Ikone. Ein Kultbild, ein Totenbild, oder einfach eine Übernahme des Amerikanischen? Doch sind Ikonen starr und unveränderlich, sind zugleich ohne eigenem Wert, reine Stellvertreter des Abbilds: nichts davon trifft auf die Stabi zu.
Eine Bibliothek mit offen zugänglichen Regalen („amerikanisches System“) ist sie in Teilen.
Ein Herzstück des Kulturforums und ein Meilenstein im Bibliothekswesen ist sie ohne Zweifel.
Und wie ein jedes auch gut funktionierendes Gebäude bedarf sie zeitgerechter Anpassungen – erst recht nach 40 Jahren Dauerbetrieb. Dies sah man vor Jahren bereits und war vielfach zu Werke, besserte dies und verschlimmbesserte zuweilen jenes. Wegen der mangelnden Sensibilität bei den Fassadenarbeiten musste die Scharoun-Gesellschaft bereits eingreifen.
Erneuern bei Scharoun
Erneuern bei Scharoun heißt nicht selten, zu den Ursprüngen zurückzukehren – auch und gerade in der Technik! Das geschah in Lünen bei der Sanierung, das war in Berlin an der Architekturfakultät nicht anders, das ist auch in Bremerhaven zu erwarten. Hier in der Aufgabenstellung steht die ur-Scharoun´sche Öffnung beider Treppen ins Ost-Foyer, die aus Personalgründen von Beginn an verstellt, die öffentliche Wandelhalle im demselben Ost-Foyer – ursprünglich sollte just dort die Ausgabe der Leserkarten erfolgen, die Kiosknischen warten darauf, befüllt zu werden! Später sollen auch die Lesesäle an der Reihe sein – gehen dann die dezentralen Ortsleihen wieder in Betrieb?
Nun sind also die Foyers an der Reihe. Das West-Foyer (Haupteingang, Garderoben, Bonhoeffer-Saal, ehemaliger Katalogsaal, ehemaliger Zeitungssaal), das Ost-Foyer (Kopierbereich, Cafeteria und einige Büros, sowie die Carrels) sowie der Dienstbereich am und unter dem Ost-Foyer (Bücherausgabe Saal/Stadt und das Großraumbüro der Büchererfassung). In den Erläuterungen und den Jurykommentaren werden die letzteren als „durch Umstrukturierungen freigewordene Flächen“ umschrieben – und alle nehmen es so hin?!
Der „Weg des Buches“ – nicht ganz ungestört
Es geht um mehr, als um irgendwelche entbehrlichen Büros.
Es geht um ein Herzstück des Scharoun´schen Konzepts. Um seinen „Weg des Buches“. Um „eine glückliche Kongruenz zwischen dem bandartigen, dem »Weg des Buches« folgenden Funktions- und Raumablauf mit den langgestreckten Flächenmagazinen und den städtebaulichen Prämissen zur terrassenhaften Höhengliederung und zur Raumbildung durch die vorgesetzten Lesesaalkuben“, aus denen die Bibliothek sich „in einer Selbstverständlichkeit und Gelassenheit“ zusammengefügt (Edgar Wisniewski).
Der „Weg des Buches“: die funktionelle und ins Räumliche übersetzte Abfolge der Stationen, die ein Buch auf dem Weg vom Einkauf (Tiefgarageneinfahrt an der Nordspitze des Hauses) ins Magazin durchzulaufen hatte (Aufzüge am Südende). Dazu Wege der Mitarbeiter und Wege der Leser; Schichten, aus denen das Haus aufgebaut ist.
Kein Dogma und kein Korsett!
Scharoun selbst räumte ein Magazingeschoß für Büros, sein Café lag immer schon in der Büro-Schicht: gegen eine Passage zum neuen Potsdamer Platz hätte er gewiß nichts einzuwenden, zumal nebst der städtebaulichen Lage auch der Bau der Müggelsee-Magazine die Funktionalfolgen sich inzwischen komplett wandelten – und das nicht seit Gestern erst. Doch die Organisationsbedenken und auch die Sorge etwa um die Lesesaal-Decke standen dem entgegen. Selbst ein Entwurf von Edgar Wisniewski, dem Projektarchitekten, hatte keine Chance.
Verbleiben wir bei Wisniewskis Worten
Hans Scharoun war ein Raumkünstler – alle eingereichten Arbeiten sind aber flächig. Er plante die Nachbarschaft stets mit – diese bleiben strikt hinter den Abschnittsgrenzen: nichteinmal ein Sondervorschlag reichte man ein! Und dabei wäre dafür mehr als ein Anlaß. Die Rede ist vom „Tor Kulturforum“ – eine reizende Formulierung.
Zugleich ein Eingeständnis, daß die Stimmann´schen Torhauswürfel an der Kreuzung Potsdamer Str./Entlastungsstraße gnadenlos gescheitert sind.
Eine Torsituation haben wir also, wo Renzo Pianos Spielbank und sein Musicaltheaters sich vor die Stabi schieben, bis nur ein Spalt verbleibt. Egal wie expressiv die Flugdächer an der neuen Tür, egal wie riesig die Lettern auf der Wand – zu sehen werden sie vom Marlene-Dietrich-Platz nicht sein. Müßte so ein Dach und so ein Name nicht hinter dem Spalt sondern vielmehr vor diesem sein? Durchgesteckt?
Naheliegender Gedanke, von den Teilnehmern allerdings nicht aufgegriffen.
Renzo Piano überspielte übrigens die von ihm geschaffene Enge mit einem Steg vom alten Stabi-Café zu den Sitztreppen auf der anderen Platzseite. Man hatte Gründe, ihn nicht zu bauen, die Stiegen errichtete man aber doch. Sie warten immer noch auf sinnvolle Nutzung…
Wagte überhaupt wer einen Blick auf jenen Dietrich-Platz?
Wohl kaum, sonst hätten die Entwerfer nicht mühevoll versucht, den neuen Osteingang mit Rampen und Aufzügen behindertengerecht zu machen. Denn gerollt oder aufgezogen steht der Rollstuhlfahrer im Osten beim Verlassen der Bibliothek vor einem unüberwindbaren Erdtrichter: wäre die Westseite nicht sowieso ausreichend gewesen?
Lude der Trichter nicht etwa ein, die Stabi gar in Kellerhöhe anzugehen?
Warum nicht die ganze Musical-Stabi-Schlucht mit überdenken, wo nicht nur Scharoun, sondern auch Piano vor neuen Tatsachen stehen? Denn: den Bibliothekaren mag die ungegliederte Wand vor ihren Fenstern ein verschmerzbares Übel – doch nun schaut die Öffentlichkeit aus ihren Fenster heraus! Warum kein Grün auf dieser kahlen Wand, warum kein Öffnen auch des Theater-Foyers? Brauchen die nicht auch ein Café?
Die Jury moniert – aber nicht dies, sondern die ganze Landschaft aus Leseterrassen, die der Wettbewerbsgewinner am Canarishaus-See ausbreitet. Die einzige wirklich städtebauliche Lösung im ganzen Verfahren!
Im Inneren: „zur Eleganz Scharoun´scher Räume zurückfinden“, „Entschlacken“, „Freilegen“. Es geht in erster Linie um die Einbauten der Saalleihe und der Stadtleihe, um die Spinde. Die Entscheidung zwischen gmp und Chipperfield soll des letzteren großräumliche Abtrennung des Zugangsbereichs im EG bewirkt haben.
Wobei Chipperfield gerade Scharouns Originalzeichnung fortschrieb.
Diejenigen Arbeiten mit Riesenkreuzen im Foyer, mit ihnen in nichts nachstehenden Hippodrom-Ovalen, mit allumzirkelnden Pentagrammen als ob in Anlehnung an die Philharmonie und mit bemüht lustigen Pentapod-Blümchen schieden schon in erster Runde aus – meinten ihre Urheber ernsthaft, Scharoun auf diese Weise „weiterentwickeln“, gar belehren und bekehren zu können?
Andere wiederum haben ihren Querweg wohl aus übertriebenen Scharoun-Respekt extra verwinkelt, als ob in Duty-Free-Shops durch die Kantinenkasse gelegt: warum so schüchtern?
Stellt die Nordtreppe ganz frei!
Macht den neuen Ostzuganz zum Raumerlebnis!
Noch sind wir von einer selbstbewußten, dabei keinesfalls zwingend gradlinigen, parallelwandigen Promenade zum Wohle des Hauses und anderer Kulturforum-Anrainer weit entfernt.
Stattdessen haben wir eine immerhin delikate Objektlösung. Qualitätive Ausarbeitung gegebener Chancen. Fingerspitzengefühl: schon ein Gewinn.
Eine wesentliche Änderung war den Siegern vorgegeben: die meist verwaiste Wandelhalle des Ost-Foyers soll der Öffentlichkeit zugänglich werden. Komplett: ein Teilnehmer teilte sie längs in einen allgemeinzugänglichen und einen den Lesern vorbehaltenen Teil, mit aufwendiger Barriere und erheblich gestreckten Laufwegen Garderoben → Treppenlauf → Kontrollhäuschen in der Mitte des Saales → Treppenlauf → Lesesaal – und wurde deplatziert. Nimmt man dies mit den bereits ab dem 1. Oktober ausgedehnten Öffnungszeiten und mit der geplanten Abschaffung der Jahresgebühren zusammen, steht uns da vielleicht eine komplette Abschaffung jener Kontrollen ins Haus?
Dies sahen die Sieger wohl so, und setzten eine minimierte Zugangssperre zwischen die beiden Treppenläufe, an der Nord- und der Südtreppe je eines. Am Behindertenaufzug vom Westfoyer mit den vielen Lesesaalebenen nahmen sie jene antizipierte Freiheit bereits vorweg: im Ost-(Kontroll-)Foyer hält der Aufzug nicht, es sind keine Zugangssperren erkennbar!
Die Faltung der neuen Veranstaltungsraum-Wände im Ost-Foyer erscheint willkürlich. Ob die Versammlungen, wie in der Darstellung angedeutet, sich auf die Balkone ausdehnen werden? Wünschenswert wäre es.
Eine verlängerte Bestandstreppe führt von hier zu den Gruppenarbeitsplätzen hinab, die sinnvollerweise im einstigen Großraum zu finden sind: „neues Leben“ in alter Form. Was bei den Bibliothekaren nie recht angekommen, feiert jetzt seine Wiederkehr als „Coworking“ mit „Hot Decks“. Typisch Scharoun´sche Sanierung eben, und weit besser als die Gruppenarbeitsplätze ins Süd-Foyer zu legen: man denke nur an die Geräuschkulisse!
Jene Treppenverlängerung wird im Juryurteil explizit gelobt – doch bedeute sie nicht auch, dass am weiter nach oben führenden Lauf entstellende Sperren notwendig werden? Und was wird aus der gar nicht erst erläuterten Mitteltreppe am Mendelsohn-Archiv?
Kritisch hingegen wird die Jury beim der Umgang der Sieger mit dem Bonhoeffer-Saal: seine Decke soll auf die Ebene des Hauptlesesaales hinaufspringen (andere wiederum ebneten den Boden des Saales, glichen ihn den Foyers an). Somit wäre sie auf der Höhe des Hauptlesesaales und böte dort ein tatsächlich kaum zu verstehendes Bild. Hier gelobten die Autoren, eine Erklärung nachzuschieben.
Vielleicht gibt es da auch Details zur wortkargen „Ausstellung“ im Ost-Foyer.
Daß die Lichtdecke des Saales wieder zur Sonne geöffnet werden soll, ist dagegen unstrittig.
Späte Genugtuung für Edgar Wisniewski
Daß Wisniewski als Mit-Urheber des Hauses in den Vorgaben genannt wurde, ist übrigens eine unzweideutige Errungenschaft des aktuellen Verfahrens. Die Sieger zeigten sich sogar betont an der Wahrung seiner Rechte interessiert. Ihm, der bis ins hohe Alter mit Belegen, ja Beweisen der Urheberrechte am Stabi-Entwurf gegen zweifelnde und uneinsichtige Juristen viel zu lange kämpfen musste, hätte diese späte Anerkennung sicher ein wenig Genugtuung eingebracht.
Fortsetzung folgt
Bis 2024 soll die Ausführungsplanung abgeschlossen sein, der Ausführung selbst gibt man Zeit bis 2029 Zeit. Der Kostenrahmen wird noch bekanntgegeben. Hoffentlich erfahren wir gelegentlich auch, was sich hinter der kryptischen Floskel „Ansprüche der neuen Zeit“ verbirgt, denen die Räume nun genügen sollen. Denn „Digitales“ und „Clip-Aufmerksamkeit der Benutzer“ sind momentan in den Plänen nicht abgebildet. Sind sie überhaupt abbildbar?
Und die Presse mit der wir begannen bringt bereits die erste Änderung der äußeren Umstände mit: „Cirque du Soleil“ zieht alsbald in die Musical-Theater-Wände ein. Vorverkauf beginnt in Kürze: Entrez!
Die Sieger bei gmp (von Gerkan, Marg & Partner)
Entwurf: Meinhard von Gerkan und Stephan Schütz mit Christian Hellmund
Projektleitung: Anna von Aulock
Mitarbeiter: Bao Wangtao, Stephanie Brendel, Marta Busnelli, Jan Peter Deml, Anna Jordan, Tobias Schmidt, Kristin Schoyerer, Nadja Stachowski, Tang Zihong, Thilo Zehme
Fachberater: Larissa Sabottka,
Pro Denkmal, Architekturhistorikerin; Dr. Klaus Werner, FU
Berlin, Direktor Philologische Bibliothek; Tobias Behrens, ADA
Acoustics & Media Consultants GmbH, Bauakustiker
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