…et Musis

Im Februar 2021 erreichte uns die Meldung, eine große Ausstellung sei im Kommen: alle Anrainer des Berliner Kulturforums, die Matthäikirche, die Neue Nationalgalerie, die Kunstbibliothek, das Kunstgewerbemuseum, die Philharmonie und die Staatsbibliothek wollten gemeinsam und umfassend die Vergangenheit, vor allem die Visionen zusammenbringen, die je zum Ort aufgestellt. Bevor das „Kultur-Aldi“ hier den Geist des höheren, des Utopischen endgültig austreibt. Geschichte und Potentiale sichtbar und für die Zukunft fruchtbar zu machen war der Anspruch. Man sei, so sagte man uns, bereits sehr weit was die Materialien anbetrifft — nicht verwunderlich, ging es doch jedem um die jeweils eigene Hausgeschichte —, und habe deswegen beschlossen, nur die Zeit bis 1989 darzustellen.
Ein solider musealer Anspruch, aber auch ein Ausschlußkriterium: unsere Scharoun-Gesellschaft, lange an der Ecke Schöneberger Ufer / Potsdamer Str. ansäßig, zog dort vor fast 15 Jahren weg. Kein Anrainer also. Aber zählt der jahrelange Einsatz für die Philharmonie, Kammermusiksaal und Haus der Mitte nicht doch? — er zählte nicht. Bis in die anekdotische Zurückweisung des bei uns angefragten Plakatmotivs nicht.

Zwischen Bildanfrage und unserer Zusage vergingen gerade Mal 20 Minuten… Nicht schnell genug.

Seit 27.08.2021 (und ohne besondere Festivitäten) ist die Präsentation im Saal der Kunstbibliothek und im Internet zu besichtigen.
Die Pläne, Bilder und Namen aus dem „Alten Westen“ füllen ein gutes Drittel des Raumes und haben das Zeug zu mehr — da muß jeder Kurator selektieren, um andere nicht zu kurz kommen zu lassen. So fielen viele Namen fort, die hier einmal verkehrten, und ihre Würdigung erst! — sie wären eine gegebene Verknüpfung etwa zum Kapitel „Germania“. Es ging ja zuweilen um dieselben Häuser, teilweise um dieselben Menschen! Löblich die Passage zum Weimar am Kemperplatz — doch ein Hugo Haering fehlt gänzlich mit seinem preußischen Regierungszentrum als Gegengewicht zu den Reichsbauten am Platz der Republik. Und ist die Mär von angeblich geplanter Umbenennung Berlins in Germania nicht langsam schon entblößt?
Aus der Vorgeschichte zum Forum im eigentlichen Sinne kommend, freut man sich über die seltenst gezeigten Museumsentwürfe, sogar über Hollein — um sein Beibelturrm zu verunmöglichen gründete sich dereinst unsere Gesellschaft (Aufgrund anhaltender Kontroversen nicht ausgeführt, führt die um die Namen vertraut karge Erläuterung aus). Staunt über Herzog & de Meuron, eindeutig nach 1989, übergeht die hohle Phrase (…verbindet mit seiner Einfachheit die historischen Entwicklungslinien und das Ensemble herausragender Solitäre…. wird die leere Mitte füllen und die räumliche Wahrnehmung des Kulturforums verändern) — und stolpert über die Erläuterungen im Hauptteil. An den Wänden und im Netz.

…Das Kulturforum wurde ab 1960 aus dem Schmerz geboren und war zur Vision verdammt. Bisher war es gängig, den Anfang auf 1958 zu legen (Hauptstadt-Berlin-Wettbewerb, siehe etwa beim Stadtsenat). Meint man hier etwa den Baubeginn der Philharmonie? Das „zur Vision verdammt“ wird mit keiner Silbe erläutert.
…Mit der Abräumung der Kriegsruinen wurden die Bauten, die Geschichte des Viertels und die Schicksale von Enteignung, Vertreibung und Tod seiner Bewohnerschaft entsorgt und vergessen. Man meide, eigenes Vergessen und Versagen den anderen anzulasten. Zumal es überaus deutliche Gegenworte der Zeitgenossen gibt. Im Bau der Philharmonie sah ein Adolf Arndt nebst anderen ein starkes Zeichen des Andenkens und des Überwindens — und wird mit genau diesen Worten auf der Homepage der Ausstellung zitiert!
…Der Neubeginn stand im Zeichen Amerikas. Nicht in Nord-, auch nicht in Südamerika sollte man nach Vorbildern des Forums suchen! Auf der Museumsinsel schon, wie auch dieses an einer anderen Stelle des Projektes unumwunden zugegeben.
…Die Krankheit ist das totalitäre Planen in Großkomplexen, ohne eine unterliegende parzelläre Struktur, die das, was hingesetzt wird, mit der übrigen Stadt verbinden und funktional auflockern könnte… moderne Maßlosigkeit. Es ist schon eher ein Zeichen des totalitären, alle Alternativen ausschließenden Denkens eines Dieter Hoffmann-Axthelms, wenn andere Möglichkeiten jenes Verbindens von vornherein abgelehnt, ja totgeschwiegen werden. Wie wäre es etwa, wenn die meisterhafte städtebauliche Konzeption des Kulturforums (Jedem einzelnen Bauwerk… wird die ihm gebührende Bedeutung zugemessen, und doch fügen sich diese — durch Funktion und Gestalt so verschiedenartigen und eigenwilligen — Gebäudegruppen zu einem überzeugenden und harmonischen Ensemble zusammen. Das Forum entwickelt den auf den Menschen bezogenen Maßstab der an ihm entworfenen Gebäude aus der vorgegebenen zierlichen Gliederung der Matthäikirche; sein sich nach Norden öffnender Raum bezieht zunächst den im Maßstab kleiner geformten Kammermusiksaal der Philharmonie und dann die im Hintergrund aufragenden größeren Baumassen… in glücklicher Weise ein. — Preisgerichtsurteil) ihre Fortsetzung erfuhre in einer entsprechenden, weniger manhattanesk-hohen und -engen Anlage des Potsdamer und Leipziger Platzes?
…Das Kulturforum ist ein Viertel ohne Bürger*innen, die Entwicklungen anstoßen. Die Anrainer haben kein Mandat und keine Mittel, um sich um den Außenraum zu kümmern, oder, nach Hoffmann-Axthelm, ohne die minimalen Spielräume für Selbstorganisation. Schade, daß ein Autor es nicht sah, dessen Zeilen an einer anderen Stelle im Projekttext stehen: Hans Scharouns Idee für ein terrassenartiges „Gästehaus“ (1963) für Künstlerinnen und Künstler zwischen Staatsbibliothek und St. Matthäus-Kirche sollte eine Voraussetzung für die „Stadtlandschaft“ Kulturforum und ein belebtes und lebendiges Kulturforum schaffen. Da war von Planern ihr Soll erfüllt! Im Unvollendet-Sein sei das Übel — und das schreiben die Autoren selbst. An einer anderen Stelle. Und das Wisniewski-Wirthen´sche Gästehausmodell wies man aus eingangs erwähnten Gründen ab.
…Das Kulturforum wurde als autogerechte monofunktionale Kulturstadt im Schatten der Berliner Mauer geplant. Eher, als fußgängerfreundliche, rund um die Uhr aktive Gegend, als Brückenschlag von West nach Ost. Wie andernorts richtig vermerkt, gründet …die neue Verkehrsführung für das Kulturforum [auf] dem 1957 verabschiedeten Verkehrskonzept für Berlin. Jahre vor Mauerbau also, vor Philharmonie, Staatsbibliothek und Co. Einem gesamtberliner Plan — den Planern ist eher vorzuwerfen, die Existenz der Mauer zu lange ignoriert zu haben. Das Monofunktionale war nicht Scharouns sondern der Sparer vom Amt, und auch die Autogerechtigkeit nicht. Die stark befahrene Hauptstraße, die das Quartier durchschneidet wäre bei Umlenkung allen Durchgangsverkehrs auf 1957er-Westtangente nichteinmal entstanden. Das Im-Schatten-Sein steigert sich an anderen Stellen zum Bollwerk gegen den Osten und Abwehr [westlicherseits] des sozialistischen Deutschlands hinter der Mauer. Als hätten die Grenzwachtürme hier und nicht auf der anderen Seite gestanden.
Dazu noch die üblichen Floskeln, die Philharmonie sein ein Bau ohne rechte Winkel, Achsen und bauliche Hierarchien, die übliche Auslassung zum geerdeten Dach der Nationalgalerie — es hätte fliegen sollen!

Zwei Höhepunkte brachte der 27. August dennoch. Zum einen, Das ungebaute Kulturforum, ein Film von Knut Klaßen und Carsten Krohn, wo Mies van der Rohe, Gerd Neumann, Alvaro Siza, Hans Hollein, Max Dudler, Herman Hertzberger, Inken und Hinrich Baller, Peter Wilson und Wilfried Wang zu Wort kommen — stellenweise leider viel zu leise —, zum anderen aber die Begegnung mit Menschen, die die trapezoiden Plätze Scharouns schlecht und den Aldi gut finden: die gibt es wirklich! Sie werden aber sicher nicht täglich dort anzutreffen sein.

Bessere Koordination hätte der Schau gut getan. Ein Vortrag soll die sie abrunden: Dr. Hannah Wiemer spricht am 4. November 2021 um 18:15 Uhr im Saal der Staatsbibliothek zum Weg des Buches (Der Scharounbau der Staatsbibliothek zwischen Bücher- und Straßenverkehr) — uns bleibt vorerst aber nur die Feststellung, daß große Berge zumal auch kleine Mäuse gebaren. Andererseits liegen die Musen und die Mäuse im Lateinischen ja nahe…

Man wünschte, sie hätten auf unsere „ScharouNIE“ doch nur gewartet! Sie öffnete wenige Tage später und räumt mit so vielem auf. Es folgt bald eine Internet-Version.

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