Nachverdichtung beim Denkmalschutz?

Bewohner von Charlottenburg-Nord hatten in letzten Jahren einiges durchzumachen: den Reparaturstau, den An- und Verkauf ihrer Häuser, die fortschreitende Verwahrlosung der einst so durchdachten Freianlagen, die Vermüllung usw. usf. Es mangelte nicht an Vorschlägen der Eigeninitiative — stets abgeblockt mit berechtigtem Hinweis, auf dem Gelände eines Baudenkmals dürfe keine Eigenmächtigkeit walten. Erst seit wenigen Jahren gab es neue Hoffnungen — an einigen Hauseingängen verbindet sich nunmehr alte Optik mit neuzeitiger Sicherheit, einige Aufzüge wurden repariert, Dächer neu gedeckt. Die Infostation am Goebelplatz ward dem eine sichtbare Verkörperung.
Dann aber kam der Mai lehrte die Bewohner ausgerechnet über sozialen Netzen, man habe über ihre Köpfe hinweg vor ihrer Haustür ein Baufeld abgezirkelt.

Den südlichen Eingang zur Siedlung machten bisher eine Telephon-Vermittlungsstelle und eine Tankstelle aus. Banale Architekturen, niedrig genug um den Blick von und zu Wohngehöften über sich gleiten zu lassen. So entstand auch hier eine für Scharouns Handschrift so typische trichterförmige Anlage — die nun, so glaubte man, mit dem bevorstehenden Neubau auf der Stelle des entbehrlich gewordenem Telekom-Baus, verbaut werde.
Doch weit gefehlt!

Panorama von Charlottenburg-Nord von der Rudolf-Wissell-Brücke, links die Vermittlungsstelle, im ersten Hochhaus das Atelier Scharouns; Luftblick vom Wohngehöft in den Letterhausweg, die Tankstelle ist noch nicht erbaut, rechts die Vermittlungsstelle: Scharoun am Fenster des Ateliers (aus einem Film von Radio Bremen).

Heutiger Blick in den Letterhausweg zu den Wohngehöften.

Ein Neubauriegel schiebt sich auf den Betriebshof zwischen der Vermittlungsstelle und dem Nachbarhaus, fast vor die Fenster des Scharoun-Ateliers — als hätte es den Schutzstatut nicht gegeben. Mit dem Bestand auf dem Grundstück geht er keine Verbindung ein. Kein Aufheben des Schutzes, keine Eigenmächtigkeit — diese ausgeprägte Tristesse mit halbherzigem Rot und Sockel-Rustika sei die Frucht der engen Abstimmung mit der bezirklichen Denkmalbehörde und dem Landesdenkmalamt.
Wie mag nur die Ausgangsvariante ausgesehen haben, von der man hierhin gelang?
War dies der Preis für den Erhalt des ex-Telekom-Baus?

Westansicht des Neubaus eines privaten Studentenheims. Ostseite analog.

Vom Amt wird uns (nicht den Anrainern, die teils Mieter, teils Eigentümer ihrer Wohnungen sind und nach gängiger Rechtsprechung bei der Erteilung der Baugenehmigung mehr als ein Wort mitzureden hatten) erläutert, die Bauten der Siedlung wären „erheblich verändert“, der Denkmalbereich „gestört“ und „unter einem durchgehend starken Veränderungsdruck von Seiten der Bewohner und Eigentümer“. Man gibt zu, Bedenken gehabt zu haben. Aber: „…der tieferliegende Hofraum der ehemaligen Postvermittlungsstelle [zähle] nicht zu den prägenden Frei- und Grünräumen der Wohnanlage… das Bauvorhaben [sei] in Kubatur und v.a. Höhe in das Umfeld eingepasst… Es ist nicht davon auszugehen, dass damit eine wesentliche Beeinträchtigung der Denkmaleigenschaft der Gesamtanlage verbunden ist.“

Mit dem Baugedanken Scharouns oder anderer Architekten der Großsiedlung hat der Entwurf kaum etwas zu tun Er führt weder fort, noch interpretiert er, nur die Höhe und die Tiefe leiht sich der Bau von seinen Nachbarn. Doch die angesprochene Einpassung ist mehr als ein Spiel mit den Klötzchen!
Zur Störung der Blickbeziehungen, die vom Neubau ausgehen, oder zur nicht mehr rückgängig zu machenden Veränderung der Gebäudetaktung wird keine Stellung genommen. Eine Auflistung jener Veränderungen und weswegen sie nicht zurückgenommen werden können, bekommt man auch auf Nachfrage nicht. Auch nicht die Antwort auf die Frage, warum man jenen Veränderungen so lange tatenlos zuschaute, bis sie die Qualität der Anlage zersetzten. Noch weniger, wie der nunmehr zementierte Zustand der permanenten Störung damit in Einklang zu bringen ist, ausgerechnet Charlottenburg-Nord zusammen mit ausgewählten anderen Werken Scharouns für die Welterbe-Liste vorzuschlagen.
Schließlich sei die Frage erlaubt, ob so eine Entscheidung nicht ein Präzedenzfall für weitere „Nachverdichtungen“ sein wird, auf weiteren für „nicht prägend“ gehaltenen „tieferliegenden Hofräumen“?

Ausschnitt aus der Denkmalkarte Berlins

Denkmalschutz, schreiben nun die Bürger ihren Ämtern (Briefe liegen uns vor), bedeute „durch Gesetze sichergestellten Schutz von Boden, Bau- und Kulturdenkmälern“. Abwägen soll man dabei, Alternativen erörtern um letztlich Maßnahmen ergreifen zu können, die die Schutzgüter bei Wahrung ihrer Art in die Neuzeit überführen — die nun erlebte Geheimkrämerei aber erweckt den Eindruck, man wäre im Amt von der Richtigkeit des eigenen Tuns in keinster Weise überzeugt.
„Letztlich bleibt wohltuend zu registrieren, dass sich hier [daraus] Widerstand formiert und die Menschen zusammenrücken“, sich für ihr Recht und für unsere Denkmäler engagieren.


Diese Meldung ging im Mai 2021 an den „Tagesspiegel“, die „Berliner Morgenpost“, die „Berliner Zeitung“, den „Rundfunk Berlin-Brandenburg“, die „Bauwelt“, die „db Deutsche Bauzeitung“, und die elektronischen Magazine „Marlowes“, „moderneRegional“.
Keine einzige Redaktion meldete sich zurück.