Ulli Kulke schreibt
In gleich zwei Artikeln der „Berliner Morgenpost“ geht der Autor Ulli Kulke auf Scharoun ein. Leider nicht immer ganz korrekt – und da die Besserung trotz Leserbriefe bis dato unterblieb, müssen wir es hier richtigstellen.
Am 14. Februar 2023 erschien seine „Stalinallee: Wie ein Architekt die DDR-Führung austrickste„. Bei vielen durchaus richtigen Stellen, die andere gern übersehen, kommen da auch einige entschieden falsche vor. Etwa von den Moskauer „Sieben Schwestern“, einem ahistorischen Begriff der 1990er Jahre – oder von dem „„Laubenganghaus“ von Hans Scharoun … das die Stadtväter in Sorge um die deutsch-sowjetische Freundschaft gleich nach Einweihung hinter schnellwachsenden Pappeln versteckten“. Auch dies ist eine Deutungsblüte der 1990er: die Laubenganghäuser der Karl-Marx-Allee (es sind ihrer zwei), entworfen und erbaut von Ludmilla Herzenstein, „entdeckte“ erst Nachwendezeit. Zwar arbeitete auch Scharoun an jener „Wohnzelle Friedrichshain“, doch kam sein Entwurf nicht zur Ausführung. Und auch beim „Verstecken“ erscheint die Beweislage äußerst dünn.
Am 20. Mai 2023 schreibt er „Für die Philharmonie wurde Hans Scharoun zuerst verspottet„, und beginnt gleich mit einem Paukenschlag: „In dem visionären Gebäude erkannte der „Spiegel“ nur eine „gebaute Kakophonie“. Tatsächlich stammen die markigen Worte aus einem Artikel des „Spiegels“ von 1984. Nicht etwa 1963. Und bezogen sich auf die disparate Situation des Kulturforums, wo Hans Hollein sein „Beibeiturrm“ setzen wollte und „diffamiert“ wurde: die Geburtsstunde der Scharoun-Gesellschaft.
Es folgen kleinere Reißer.
Tatsächlich hatte Scharoun keinen Berufsabschluß – doch „gab er sein Architekturstudium“ 1914 gerade nicht „auf, um sich freiwillig zur Front im Ersten Weltkrieg zu melden“. Er wollte, wurde aber nicht genommen. Kam nie an die Front und konnte auch nicht „von der Front weg für ein Wiederaufbauprogramm Ostpreußens … rekrutiert“ werden. Vom Studienabbruch kann keine Rede sein: er unterschrieb auch 1918 als „Stud.Arch.“
Geboren wurde Scharoun tatsächlich 1893, aber nicht „in Bremerhaven“, sondern in Bremen.
„Rechte Winkeln“, mit denen er sich angeblich „kaum … anfreunden konnte“, findet man bei Scharoun in jedem Haus. Nur ist seine Architektur ihnen nicht verpflichtet, sie bedient sich ihrer, wo es ihr paßt.
Der „Bau der Philharmonie 1956“ wäre richtiger „der Wettbewerb für den Neubau am Joachimstal´schen Gymnasium“ zu nennen. Der war tatsächlich 1956, die Ergebnisse wurden im Januar 1957 verkündet, der Baubeginn am Kemperplatz folgte 1959, der Richtfest 1961 und die Eröffnung 1963.
Im Jahre 1919 übernahm Scharoun nicht etwa „Kruchens Architekturbüro in Breslau“, sondern die ehemalige von Kruchen geleitete staatliche Bauberatungsstelle zu Insterburg (OPr).
Bei der Berufung nach Breslau war Scharoun nicht „25“, sondern 32 Jahre alt. Allerdings geschah es im Jahre 1925. Sein Betritt zur „Gläsernen Kette“ von Bruno Taut“ ist 1919 gewesen, in seinen Insterburger Jahre. Beim „Werkbund“ müssen wir 1916-1919 vermuten. Im „Ring“ Ludwig Mies van der Rohes“ sehen wir ihn dagegen erst 1926 – von Breslau aus.
In der Großsiedlung Siemensstadt entwarf er keinen „einen einzelnen Block“, sondern ein gebogenes Haus an der Mäckeritzstraße und zwei einander gegenüberliegende Hauszeilen am Jungfernheideweg.
Der größere Punkt: „Im neuen Magistrat“ hatte der Stadtbaurat Scharoun keineswegs die „Aufgabe, einen Generalplan für Berlin auszuarbeiten“. Ein solcher war von den Alliierten ausdrücklich untersagt. Die neuen Stadtbehörden dürften nichts erdenken, was über die Grenzen eines Besatzungssektors ragt. Daß es in einer Stadt wie Berlin eine Unmöglichkeit darstellt, sah man bald ein – doch beim „Kollektivplan“ aber auch dem „Zehlendorfer Plan“ war es noch anders. Daß die beiden im Entstehen waren, war ein offenes Geheimnis, Kulturoffiziere aller Besatzungsmächte waren z.B. im „Internationalen Kommittee für den Wohnungsbau“ vertreten und in der Ausstellung „Berlin Plant, Erster Bericht„, wo auch der „Kollektivplan“ präsentiert, doch ein Auftrag war dies nicht.
„Darin legte er“ auch nicht „den Abriß der noch stehenden Gebäude … und einen radikalen Neuaufbau gemäß der Charta von Athen“ fest. Zum Einen, weil es keinen „er“ gab, der Plan war eine Kollektivleistung; zum Anderen, weil Berlin ein einziger Schutthaufen war. Dort die Viertel neu zu sortieren, funktionell zu bereinigen, und die Straßen neu zu verknüpfen benötigte keiner Spitzhacke.
Der Satz „In den Nöten der Zeit konnte sich im Rathaus mit seiner Radikalität im Osten kaum jemand anfreunden“ ist leider ganz falsch: die Ablehnung des Planes kam vom Norden, aus Wedding vor allem. Die damals gestreute Mären müssen von uns noch heute widerlegt werden (1, 2). Und als der Osten die Planer mit der „Wohnzelle Friedrichshain“ betraute, nahm man es im Westen noch übler: „Man fremdelte“, nur andersherum.
Die „unscheinbare Hochhäuser … rings um den Mehringplatz„ sind von Werner Düttmann, das AOK-Hochhaus von Scharoun und Bodo Fleischer. Man sieht, „die harsche Kritik“ und Fehldeutung „verstummten“ in den späten Jahren keineswegs. Es bleibt noch viel zu tun, um diese Mißstände auszuräumen.
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